§19 BetrVG Wahlanfechtung

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§19 Wahlanfechtung

(1) Die Wahl kann beim Arbeitsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.

  • Verstöße gegen wesentliche Vorschriften können unter anderem sein: Zulassung nicht wählbarer Arbeitnehmer als Wahlbewerber, Nichteinhaltung von Fristen, Verbindung unterschiedlicher Vorschlagslisten zu einer Liste, Nichtberücksichtigung der Mindestquote für das in der Minderheit befindliche Geschlecht.
  • Erfolgt jedoch eine rechtzeitige Korrektur des Verstoßes oder kann der Verstoß das Wahlergebnis nicht ändern oder beeinflussen, kann eine Anfechtung nicht hierauf gestützt werden.
  • Die Anfechtung bezieht sich normalerweise auf den kompletten Betriebsrat, da die Wahl als solche angefochten wird. Eine Anfechtung lediglich eines Betriebsratsmitgliedes ist dann möglich, wenn lediglich die Wahl dieses Mitgliedes fehlerhaft gewesen ist. Die teilweise Anfechtung einer Wahl (z.B. einer bestimmten Vorschlagsliste) ist dagegen unzulässig.
  • Ist die Anfechtung erfolgreich, ist der Betriebsrat zukünftig nicht mehr im Amt, seine bis zur erfolgreichen Anfechtung gefassten Beschlüsse bleiben jedoch gültig. Auch ist der Betriebsrat bis zur erfolgreichen Anfechtung im Amt.


(2) Zur Anfechtung berechtigt sind mindestens drei Wahlberechtigte, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder der Arbeitgeber. Die Wahlanfechtung ist nur binnen einer Frist von zwei Wochen, vom Tage der Bekanntgabe des Wahlergebnisses an gerechnet, zulässig.

  • Nicht anfechtungsberechtigt sind Gremien wie der Betriebsrat oder der Wahlvorstand sowie einzelne Arbeitnehmer.
  • Mitglieder dieser Gremien können sich jedoch in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer an einer Anfechtung beteiligen.


Folgen der Anfechtung

  • Eine erfolgreiche Anfechtung beendet das Bestehen des Betriebsrats mit Rechtskraft der Entscheidung. Der Betriebsrat darf dann auch keinen neuen Wahlvorstand mehr berufen.
  • Bei besonders groben Verstößen gegen das Wahlverfahren kann auch die Nichtigkeit der Wahl festgestellt werden. Diese führt dazu, dass der Betriebsrat sofort (eigentlich: rückwirkend, da nie wirksam bestanden) aus dem Amt ist. Die Nichtigkeit kann auch noch nach Ablauf der Frist des Absatzes 2 festgestellt werden.


Praxis-Tipp

Der WVS sollte selbstverständlich vermeiden, dass sein Vorgehen Anlass zu einer erfolgreichen Anfechtung gibt. Gleichwohl ist nicht er, sondern der neue Betriebsrat der „Geschädigte“.

Eine Anfechtung ist gegenwärtig in vielen Betrieben zum Standard der Auseinandersetzung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat geworden und entbehrt oft eines tatsächlichen Anfechtungsgrundes. Auch hinsichtlich der Dauer des Verfahrens kann der Betriebsrat ersteinmal in Ruhe seine Amtsgeschäfte erledigen. Droht eine erfolgreiche Anfechtung (=Rechtskraft der Entscheidung der letzten Instanz), kann der Betriebsrat immer noch so rechtzeitig kollektiv zurücktreten, dass eine erneute Betriebsratswahl bis zur Rechtskraft erfolgreich durchgezogen werden kann. In diesem Falle führt er die Amtsgeschäfte kommissarisch bis entweder zur Rechtskraft oder zur Verkündung des Wahlergebnisses weiter. Im Zweifel kann dies bis zur Entscheidung des BAG bzw. zur Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch das BAG dauern, je nach Schnelligkeit der Arbeitsgerichte also zwischen etwa eineinhalb und vier Jahren. Es kann also bei Ausnutzung aller verfahrenstechnischer Finessen durchaus sein, die nächste turnusmäßige Wahl zu „erreichen“.

Beispiele für Anfechtungsgründe

Beispiele für die Nichtigkeit einer Wahl

Rechtsprechung

Landesarbeitsgericht Hamm, Beschluss vom 06.09.2013 7 TaBVGa 7/13

Bestellung des Wahlvorstandes - Betriebsratswahl - einstweiliger Rechtsschutz

Leitsatz

1. Die Anforderungen, die das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 27.07.2011 - 7 ABR 61/10 - für den Abbruch einer Betriebsratswahl beschrieben hat (voraussichtliche Nichtigkeit der Wahl) sind auch der Maßstab bei einem Streit über die Wirksamkeit der Bestellung des Wahlvorstandes.

2. Im einstweiligen Verfügungsverfahren ist der Antrag gerichtet auf Feststellung der Nichtigkeit eines Betriebsratsbeschlusses über die Einsetzung des Wahlvorstandes nicht zulässig (a.A. LAG Nürnberg, Beschlüsse vom 30.03.2006, 6 TaBV 19/06 und vom 15.05.2006, 2 TaBV 29/06).


Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 20.02.2014 9 TaBVGa 11/14

Betriebsratswahl - Prüfung eines Wahlvorschlags - Unverzüglichkeit - Nichtigkeit

Leitsatz

Ein Abbruch einer Betriebsratswahl kommt als Folge der Entscheidung des BAG vom 27. Juli 2011 (- 7 ABR 61/10 - EzA § 19 BetrVG 2001 Nr. 8) nur in Betracht, wenn die geplante Wahl mit einiger Sicherheit nichtig wäre. Die nicht unverzügliche Beanstandung eines eingereichten Wahlvorschlages durch den Wahlvorstand ist grundsätzlich nur ein Anfechtungsgrund. Nichtig wäre die geplante Wahl nur dann, wenn der Wahlvorstand die Prüfung des Wahlvorschlages willkürlich und missbräuchlich verzögerte, um der Liste die Teilnahme an der Wahl unmöglich zu machen.


Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 20.02.2014 9 TaBVGa 19/14

Betriebsratswahl - Gemeinschaftsbetrieb - Nichtigkeit - Wahlvorstand - Wählerliste

Leitsatz

Dem Wahlvorstand kann der Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Zurverfügungstellung einer Wählerliste - hier für einen Gemeinschaftsbetrieb - als Folge der Entscheidung des BAG vom 27. Juli 2011 (- 7 ABR 61/10 - EzA § 19 BetrVG 2001 Nr. 8) nicht bereits dann abgesprochen werden, wenn für die geplante Wahl möglicherweise ein Anfechtungsgrund besteht, sondern nur, wenn die Wahl mit einiger Sicherheit nichtig wäre. Die Verkennung der Voraussetzungen für einen Gemeinschaftsbetrieb macht die geplante Wahl grundsätzlich nur anfechtbar. Nichtig wäre sie nur dann, wenn der Wahlvorstand willkürlich, rechtsmissbräuchlich und ohne jegliche sachliche Grundlage von einem Gemeinschaftsbetrieb ausginge.



Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 03.04.2014 9 TaBVGa 42/14

Betriebsratswahl - Gemeinschaftsbetrieb - Nichtigkeit - Wahlstopp - Wahlvorstand - Zuordnungstarifvertrag

Orientierungssatz

Anspruch des Wahlvorstandes auf Übergabe von Beschäftigtenlisten gemäß § 2 Abs. 2 WO bei Streit über die Geltung eines Zuordnungstarifvertrages, wenn der Wahlvorstand vertretbar, jedenfalls ohne Willkür oder Rechtsmissbrauch von dessen Geltung ausgeht.


BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 13.3.2013, 7 ABR 67/11 Betriebsratswahl - Minderheitengeschlecht - kein Ausschluss Überrepräsentanz - Wahlanfechtung


BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 27.7.2011, 7 ABR 61/10 Abbruch einer Betriebsratswahl - Fehler bei der Bestellung des Wahlvorstandes

Leitsätze

1. Auf Antrag des Arbeitgebers ist eine Betriebsratswahl abzubrechen, wenn sie voraussichtlich nichtig ist. Die bloße Anfechtbarkeit genügt nicht.

2. Einem nicht existenten Wahlvorstand kann untersagt werden, weiter tätig zu werden. Die nur fehlerhafte Bestellung reicht nicht aus.


Landesarbeitsgericht Hamm, 10 TaBV 94/04

Anfechtung einer Betriebsratswahl Wahlbeeinflussung durch den Wahlvorstand Zurückweisung einer Liste, feste Verbindung zwischen Kandidaten- und Stützunterschriftenliste Versiegelung der Wahlurne Öffentlichkeit bei der Stimmauszählung Anwesenheit von Verfahrensbevollmächtigten bei der StimmabgabeSchriftformerfordernis bei der Zustimmung der Wahlbewerber zur Aufnahme in eine Vorschlagsliste


ArbG Berlin 18. Kammer 18 BV 6592/10

1. Verstirbt ein die Betriebsratswahl anfechtender Wahlberechtigter nach Einreichung des Antrags, so führt dies nicht in Anwendung der Regelung aus §§ 80 Abs. 2 ArbGG, 239 ZPO zur Unterbrechung des Verfahrens. Das Verfahren ist vielmehr fortzuführen. Die Anfechtungsberechtigung bleibt unberührt, solange weiterhin mindestens drei Arbeitnehmer die Anfechtung betreiben.

2. Die Verpflichtung des Wahlvorstands zur unaufgeforderten Übermittlung von Briefwahlunterlagen zur Betriebsratswahl aus § 24 BetrVGDV1WO ist auf "Außenarbeiter" beschränkt. Erfasst sind Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis so gestaltet ist, dass ihr Arbeitsort regelmäßig außerhalb der Betriebsstätte gelegen ist. Der Wahlvorstand ist nicht verpflichtet, Wahlberechtigten allein wegen der Tatsache, dass ihr Arbeitsverhältnis ruht und sie deshalb am Wahltag voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden, Briefwahlunterlagen zu übersenden.


LAG München 26.10.2006 4 TaBV 77/06

Anfechtung einer Betriebsratswahl insbesondere wegen behaupteter Wahlbehinderung oder Androhung von Nachteilen im Sinne des § 20 BetrVG durch ein Rundschreiben der Arbeitgeberin - Einzelfallentscheidung -


LAG München 27.01.2010 11 TaBV 22/0

Erfolgreiche Anfechtung einer Betriebsratswahl - Verstoß gegen § 20 Abs. 1 Satz 2 BetrVG durch Einflussnahme in das passive Wahlrecht wegen Einsammeln von Briefwahlunterlagen durch Arbeitgeberin und Wahlbewerber


LAG München 18.01.2007 4 TaBV 94/06

Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder - aufgrund einer Rahmenvereinbarung regelmäßig tageweise befristet beschäftigte Aushilfskräfte als "in der Regel" beschäftigte Arbeitnehmer i. S. d. §§ 9 Satz 1, 7 Satz 1 BetrVG?


LAG München 10.03.2008 6 TaBV 87/07

Eine gegenüber dem Wahlausschreiben zeitlich vorgezogene Stimmauszählung, ohne dass vorher Ort und Zeitpunkt dieser Stimmauszählung öffentlich im Betrieb bekannt gemacht worden sind, rechtfertigt die Wahlanfechtung.


LAG München 17.07.2008 4 TaBV 20/08

Unzulässigkeit einer Betriebsratswahlanfechtung, wenn - wie sich hier erstmals im Beschwerdeverfahren, unstreitig, herausgestellt hat - einer der drei (allein) anfechtenden Wahlberechtigten bei Antragseinreichung und in der Folge mangels Gewerkschaftsmitgliedschaft durch einen für ihn nicht postulationsbefugten Rechtssekretär der DGB Rechtsschutz GmbH, unwirksam, vertreten war.


Landesarbeitsgericht Hamm 19.03.2012 10 TaBVGa 5/12

Die voraussichtliche Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl nach § 19 Abs 1 BetrVG reicht nicht aus, um im Wege einer einstweiligen Verfügung in das Wahlverfahren einzugreifen und die Betriebsratswahl abzubrechen. (juris)


ArbG Berlin 24.08.2005 38 BVGa 18453/05

Zur Überprüfbarkeit des Bestellungsaktes eines Wahlvorstandes im Rahmen der Einleitung einer Betriebsratswahl. Zum Pflichtenkreis des Wahlvorstandes und der gerichtlichen Durchsetzbarkeit im Einstweiligen Verfügungsverfahren.

1. Zum Pflichtenkreis des Wahlvorstandes gehört es, Fehler, die die Betriebsratswahl anfechtbar machen, zu vermeiden. Liegt ein Anfechtungsgrund vor, hat der Wahlvorstand die laufende Wahl abzubrechen, wenn sich der Wahlfehler nicht anderweitig beheben oder korrigieren läßt (im Anschluss an BAG v. 20.2.1991 -7 ABR 85/89- und v. 27.1.1993 -7 ABR 37/92-).

2. Anfechtungsberechtigte können diese Verpflichtung des Wahlvorstandes im Wege der Einstweiligen Verfügung durchsetzen, wenn feststeht, dass ein entsprechender Wahlfehler vorliegt. (RechtsCentrum)