§4 BetrVG Betriebsteile, Kleinstbetriebe

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§ 4 Betriebsteile, Kleinstbetriebe

(1) Betriebsteile gelten als selbständige Betriebe, wenn sie die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 erfüllen und

1. räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt oder

2. durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig sind.

Die Arbeitnehmer eines Betriebsteils, in dem kein eigener Betriebsrat besteht, können mit Stimmenmehrheit formlos beschließen, an der Wahl des Betriebsrats im Hauptbetrieb teilzunehmen; § 3 Abs. 3 Satz 2 gilt entsprechend. Die Abstimmung kann auch vom Betriebsrat des Hauptbetriebs veranlasst werden. Der Beschluss ist dem Betriebsrat des Hauptbetriebs spätestens zehn Wochen vor Ablauf seiner Amtszeit mitzuteilen. Für den Widerruf des Beschlusses gelten die Sätze 2 bis 4 entsprechend.

  • Spielt eine wichtige Rolle u.a. bei der Aufstellung der Wählerliste und bei der Frage, ob und wo bei komplexen betrieblichen Strukturen Betriebsräte zu wählen sind.
  • Betriebsbegriff: siehe §1 BetrVG
  • Einfacher Betriebsteil (nicht betriebsratsfähig):
    • Eine Einheit, die gegenüber dem Hauptbetrieb organisatorisch abgrenzbar und relativ verselbständigt ist, aber allein nicht bestehen könnte.
    • Wenigstens eine Person übt Weisungsrechte des Arbeitgebers aus.
  • Qualifizierter Betriebsteil (betriebsratsfähig):
    • Räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt oder
    • Eigenständig in Organisation und Aufgabenbereich
    • Nur hier haben die Arbeitnehmer ein Wahlrecht, ob sie an der Wahl im Hauptbetrieb teilnehmen möchten.

(2) Betriebe, die die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 nicht erfüllen, sind dem Hauptbetrieb zuzuordnen.


Praxis-Tipp

  • Um die hier auftretenden Fragen beantworten zu können, muss der Wahlvorstand entsprechende Informationen vom Arbeitgeber anfordern. Dazu gehören ein Organigramm des Unternehmens, Organigramme der einzelnen Betriebe bzw. Betriebsteile, Auskünfte über Rechte und Befugnisse (Prokura, selbständige Entlassung und Einstellung) der vor Ort leitenden Funktionen sowie einen Überblick über die Strukturen, in denen Entscheidungen in personellen wie sozialen Fragen getroffen und umgesetzt werden. Die Informationen sind nach §2 (2) WO zur Erstellung der Wählerliste erforderlich und damit vom Arbeitgeber bereitzustellen. Tut er dies nicht, kann dies eine strafbewehrte Behinderung der Wahl nach §119 BetrVG darstellen.
  • Informiert der Arbeitgeber nicht oder nicht vollständig, so kann der Wahlvorstand eigene Informationen erheben, indem er z.B. beim Betriebsrat anfragt, die Einträge im Handelsregister sichtet oder entsprechende Befragungen vor Ort durchführt. Der Wahlvorstand muss keineswegs so lange warten, bis ihm der Arbeitgeber die erforderlichen Informationen gibt, sondern kann auch selbsttätig zu einer korrekten Entscheidung kommen.
  • Im Zweifel sollten die vorhandenen Informationen einer kompetenten Person vorgelegt und mit dieser beraten werden, da eine falsche Zuordnung eines Betriebsteils zur Anfechtung führen kann.


Rechtsprechung

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.12.2013 1 TaBV 35/12

Betriebsratswahl - Abstimmung im Betriebsteil - Beschlussfassung

Leitsatz

1. Eine Abstimmung in einem Betriebsteil über die Teilnahme zur Wahl am Hauptbetrieb nach § 4 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist in Betriebsteilen, die die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfüllen, unabhängig von der Zahl der (mehr als 5) Beschäftigten zulässig, auch in Betriebsteilen mit 240 Arbeitnehmern und mehr.(Rn.85)(Rn.93)

2. Der Abstimmung steht der Umstand, dass die Arbeitnehmer bei der letzten BR-Wahl (rechtswidrig) an der nicht angefochtenen Wahl des Betriebsrats im Hauptbetrieb teilgenommen haben, nicht entgegen.(Rn.92)

3. Diese Abstimmung muss entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung nicht in einer Betriebsversammlung stattfinden.(Rn.95)

4. Die Abstimmung ist jedoch unwirksam, wenn sie über einen Zeitraum von mehr als 4 Wochen ausgedehnt wird und Stimmen solange zugelassen werden, bis die notwendige Mehrheit für die Teilnahme an der BR-Wahl zum Hauptbetrieb erreicht ist.(Rn.99)

5. Findet die Abstimmung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 BetrVG auf Initiative des BR des Hauptbetriebs statt, bedarf es zu ihrer Rechtmäßigkeit eines wirksamen BR-Beschlusses.(Rn.104)

6. Wird bei dieser Beschlussfassung ein Ersatzmitglied des BR nicht zur Sitzung geladen, ist der Beschluss nur dann rechtmäßig, wenn das Ersatzmitglied unmissverständlich erklärt hat, nicht in den BR nachrücken zu wollen.(Rn.114)

7. Es bleibt unentschieden, ob der BR dessen Wahl erfolgreich angefochten worden ist, vor Rechtskraft des Beschlusses einen Wahlvorstand für die Neuwahl eines BR bestimmen kann, ohne selbst seinen Rücktritt zu erklären.(Rn.125) (juris)


BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 9.12.2009, 7 ABR 38/08 Betrieb - Betriebsteil - betriebsratsfähige Organisationseinheit - Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz


Hessisches Landesarbeitsgericht 01.09.2011 9 TaBV 9/11

Erfolgreiche Betriebsratswahlanfechtung wegen Verkennung des Betriebsbegriffs (Einzelfall).


LAG München 28.04.2004 5 Sa 1380/03

Wird bei einer Betriebsratswahl irrtümlich ein selbstständiger Betriebsteil iSv. § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG angenommen und deswegen nur in dem vermeintlichen Hauptbetrieb ein Betriebsrat gewählt, so ist dieser Betriebsrat trotzdem für den ganzen Betrieb zuständig.

Die Betriebsratsfähigkeit iSv. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hängt von der Betriebszugehörigkeit der Arbeitnehmer zur Zeit der Betriebsratswahl ab. Diese Betriebszugehörigkeit wird weder durch die Elternzeit iSd. §§ 15 ff. BerzGG noch durch den künftigen Eintritt in den Ruhestand eines Arbeitnehmers in Frage gestellt.

Der Wegfall der Betriebsratsfähigkeit eines Betriebsteils nach dem für die Betriebsratswahl maßgeblichen Zeitpunkt führt nicht zur automatischen Zuständigkeit des im Hauptbetrieb gewählten Betriebsrats, gleichviel, ob in dem Betriebsteil ein Betriebsrat gewählt worden war oder nicht.


Hessisches Landesarbeitsgericht 30. August 2012 9 TaBV 108/12

1. Die Wahl eines Betriebsrates kann gemäß § 19 BetrVG angefochten werden, wenn sie auf Grundlage der Verkennung des Betriebsbegriffs durchgeführt wurde. Bei zwei zusammenhängenden Betriebsstätten ist zu überprüfen ob es sich um einen einheitlichen Betrieb gemäß § 1 Abs 1 BetrVG oder um zwei selbständige Einzelbetriebe handelt.

2. Ein Betriebsteil gilt als selbständig im Sinne des § 4 Abs 1 S 1 Nr 2 BetrVG, wenn er gegenüber dem Hauptbetrieb organisatorisch abgrenzbar und relativ verselbständigt ist. Entscheidend ist der Umfang der Leitungsmacht. Für das Vorliegen eines Betriebsteils genügt ein Mindestmaß an organisatorischer Selbständigkeit gegenüber dem Hauptbetrieb. Dazu reicht es aus, dass in der organisatorischen Einheit überhaupt eine den Einsatz der Arbeitnehmer bestimmende Leitung institutionalisiert ist, die Weisungsrechte des Arbeitgebers ausübt. (juris)


ArbG Frankfurt 24.01.2012 13 BVGa 32/12

1. Die in einem Verfahren gemäß § 18 Abs 2 BetrVG in einer zweitinstanzlichen Entscheidung getroffenen Feststellungen zum Betriebsbegriff müssen vom Wahlvorstand bei der Durchführung einer Betriebsratswahl auch dann zugrunde gelegt werden, wenn gegen diese Entscheidung Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt ist.

2. Geht der Wahlvorstand bei der Vorbereitung der Betriebsratswahl von einem hiervon abweichenden Betriebsbegriff aus, so liegt eine offensichtliche Verkennung des Betriebsbegriffs vor. Der Abbruch der auf diese Weise eingeleiteten Betriebsratswahl kann im Wege der einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden. (juris)