§1 BetrVG Errichtung von Betriebsräten

Aus WahlWiki
Version vom 26. September 2013, 17:02 Uhr von MARK Wahlwiki 2013 (Diskussion | Beiträge) (→‎Rechtsprechung)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Weitere Informationen aus dem Themenfeld Grundlegende Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes

Überblick über die Themen des WahlWiki

Du willst eine Frage zum Thema stellen, hast ergänzende Tipps oder Rechtsprechung parat? Einfach auf Diskussion klicken.

Du hast noch weitere Fragen? Schau´ doch mal in die FAQs! Oder stelle Deine Frage an die WahlWiki-Nutzer!


§ 1 Errichtung von Betriebsräten

(1) In Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, werden Betriebsräte gewählt. Dies gilt auch für gemeinsame Betriebe mehrerer Unternehmen.

  • Die Wahl eines Betriebsrats ist der gesetzliche Regelfall, jedoch besteht keine Pflicht zur Wahl eines Betriebsrats.
  • Das BetrVG dient dem Schutz und der Teilhabe der Arbeitnehmer und ist Ausdruck des Sozialstaats- und Demokratiegedankens.
  • Das BetrVG gilt auf dem Gebiet der Bundesrepublik für alle Betriebe der Privatwirtschaft.


(2) Ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen wird vermutet, wenn 1. zur Verfolgung arbeitstechnischer Zwecke die Betriebsmittel sowie die Arbeitnehmer von den Unternehmen gemeinsam eingesetzt werden oder 2. die Spaltung eines Unternehmens zur Folge hat, dass von einem Betrieb ein oder mehrere Betriebsteile einem an der Spaltung beteiligten anderen Unternehmen zugeordnet werden, ohne dass sich dabei die Organisation des betroffenen Betriebs wesentlich ändert.


Betriebsverfassungsrechtlicher Betriebsbegriff

  • von großer Bedeutung u.a. bei der Aufstellung der Wählerliste und der Beantwortung der Frage, ob und wo Betriebsräte bei heutigen vielfältigen Betriebsstrukturen zu wählen sind
  • keine gesetzliche Definition
  • geltende Definition lt. Rechtsprechung: Betrieb im Sinne des BetrVG ist die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmern mit Hilfe von technischen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt.


Abgrenzungsmerkmale

  • einheitlicher Rechtsträger
  • arbeitstechnischer Zweck
  • einheitliche Leitung
  • räumliche Einheit
  • Betriebsgemeinschaft
  • Dauer


Praxis-Tipp

  • Bei komplexen Zusammensetzungen der im Betrieb tätigen Menschen wie auch bei räumlich auseinanderliegenden Betriebsteilen, Niederlassungen etc. können für den Wahlvorstand kaum beantwortbare Fragestellungen auftreten. Erschwerend kann hinzu kommen, dass der Arbeitgeber und auch bestimmte Arbeitnehmer aus eigenen Interessen eine bestimmte Beantwortung dieser Fragen vorziehen und dies auch gegenüber dem Wahlvorstand offensiv kundtun. Der Wahlvorstand sollte daher immer auch externen Rat bei der Gewerkschaft und/oder bei Fachanwälten für Arbeitsrecht suchen. Dies gilt auch deswegen, um in Falle der Anfechtung nachweisen zu können, dass der Wahlvorstand keine willkürlichen Entscheidungen getroffen hat. Idealerweise nimmt der Wahlvorstand in den entsprechenden Beschlüssen ausführlich Bezug auf die erhaltenen Auskünfte.
  • Auch der Wahlvorstand kann versucht sein, die anstehenden Fragen nach eigenem taktischen Kalkül zu beantworten. Grundsätzlich hat der Wahlvorstand jedoch seine Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen pflichtgemäß im Sinne einer ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl durch eine neutrale Amtsführung zu treffen.


Rechtsprechung

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 9.12.2009, 7 ABR 38/08 Betrieb - Betriebsteil - betriebsratsfähige Organisationseinheit - Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz


Landesarbeitsgericht Hamm, 10 TaBV 55/11

Anfechtung einer Betriebsratswahl; Verkennung des Betriebsbegriffs; gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen; einheitlicher Leitungsapparat in personellen und sozialen Angelegenheiten; Beteiligung der betroffenen Unternehmen; Feststellungsinteresse


Hessisches Landesarbeitsgericht 01.09.2011 9 TaBV 9/11

Erfolgreiche Betriebsratswahlanfechtung wegen Verkennung des Betriebsbegriffs (Einzelfall).


Hessisches Landesarbeitsgericht 30.07.2009 9 TaBVGa 145/09

Abbruch einer Betriebsratswahl - bereits vorhandener Betriebsrat im Teilbereich eines Betriebes


LAG München 28.04.2004 5 Sa 1380/03

Wird bei einer Betriebsratswahl irrtümlich ein selbstständiger Betriebsteil iSv. § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG angenommen und deswegen nur in dem vermeintlichen Hauptbetrieb ein Betriebsrat gewählt, so ist dieser Betriebsrat trotzdem für den ganzen Betrieb zuständig.

Die Betriebsratsfähigkeit iSv. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hängt von der Betriebszugehörigkeit der Arbeitnehmer zur Zeit der Betriebsratswahl ab. Diese Betriebszugehörigkeit wird weder durch die Elternzeit iSd. §§ 15 ff. BerzGG noch durch den künftigen Eintritt in den Ruhestand eines Arbeitnehmers in Frage gestellt.

Der Wegfall der Betriebsratsfähigkeit eines Betriebsteils nach dem für die Betriebsratswahl maßgeblichen Zeitpunkt führt nicht zur automatischen Zuständigkeit des im Hauptbetrieb gewählten Betriebsrats, gleichviel, ob in dem Betriebsteil ein Betriebsrat gewählt worden war oder nicht.


Landesarbeitsgericht Niedersachsen 02. Dezember 2011 6 TaBV 29/11

Ist für einen Betrieb zeitlich früher bereits ein Betriebsrat gewählt worden, ist die zeitlich nachfolgende Wahl für einen Betriebsteil nichtig.

Das gilt auch dann, wenn bei der Wahl des ersten Betriebsrats u.U. zu Unrecht ein Gemeinschaftsbetrieb angenommen und/oder gegen wesentliche Vorschriften des Wahlverfahrens verstoßen wurde, sofern diese Verstöße nicht offensichtlich und schwerwiegend sind. (juris)


Landesarbeitsgericht Hamm 04. Oktober 2011 10 TaBV 27/11

Gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen - einheitlicher Leistungsapparat - arbeitgeberübergreifender Personaleinsatz

1. Mit dem Verfahren nach § 18 Abs 2 BetrVG soll unabhängig von einer konkreten Betriebsratswahl eine verbindliche Entscheidung darüber herbeigeführt werden, ob Nebenbetriebe oder Betriebsteile selbständig sind oder dem Hauptbetrieb zugeordnet werden müssen oder ob ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen vorliegt. Die Entscheidung in einem Verfahren nach § 18 Abs 2 BetrVG klärt damit eine für die gesamte Betriebsverfassung grundsätzliche und wesentliche Vorfrage, indem sie bei einem Streit darüber verbindlich festlegt, was als "der Betrieb" anzusehen ist, in dem ein Betriebsrat gewählt wird und in dem er seine Beteiligungsrechte wahrnehmen kann.

2. Soll ein gemeinsamer Betrieb von mehreren Unternehmen geführt werden, so müssen sich die beteiligten Unternehmen zur gemeinsamen Führung des Betriebes rechtlich verbunden haben. Eine dahingehende Vereinbarung muss auf eine einheitliche Leitung für die Aufgaben gerichtet sein, die vollzogen werden müssen, um die in der organisatorischen Einheit zu verfolgenden arbeitstechnischen Zwecke erfüllen zu können. Für die Frage, ob der Kern der Arbeitgeberfunktionen in sozialen und personellen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung ausgeübt wird, ist vor allem entscheidend, ob ein arbeitgeberübergreifender Personaleinsatz praktiziert wird, der charakteristisch für den normalen Betriebsablauf ist. (juris)


Hessisches Landesarbeitsgericht 01. September 2011 9 TaBV 16/11

Betriebsbegriff - Feststellung von eigenständigen betriebsratsfähigen Organisationseinheiten

1. Ein Betrieb im Sinne des BetrVG ist eine organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber zusammen mit den vom ihm beschäftigten Arbeitnehmern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Dazu müssen die in der Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt und die menschliche Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert werden.

2. Für die Abgrenzung von Betrieb und Betriebsteil ist der Grad der Verselbständigung entscheidend, der im Umfang der Leitungsmacht zum Ausdruck kommt. Erstreckt sich die in der organisatorischen Einheit ausgeübte Leitungsmacht auf alle wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in personellen und sozialen Angelegenheiten, handelt es sich um einen eigenständigen Betrieb im Sinne von § 1 Abs 1 BetrVG. (juris)


Hessisches Landesarbeitsgericht 01. September 2011 9 TaBV 8/11

Wirksamkeit einer Betriebsratswahl - Betriebsbegriff

1. Ein Betrieb im Sinne des BetrVG ist eine organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber zusammen mit den vom ihm beschäftigten Arbeitnehmern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Dazu müssen die in der Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt und die menschliche Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert werden.

2. Für die Abgrenzung von Betrieb und Betriebsteil ist der Grad der Verselbständigung entscheidend, der im Umfang der Leitungsmacht zum Ausdruck kommt. Erstreckt sich die in der organisatorischen Einheit ausgeübte Leitungsmacht auf alle wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in personellen und sozialen Angelegenheiten, handelt es sich um einen eigenständigen Betrieb im Sinne von § 1 Abs 1 BetrVG. (juris)


LAG Nürnberg 28.4.2006 5 TaBV 10/06

1. Für die Annahme eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen ist entscheidend, dass sich die Unternehmen zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben, die sich auf die wesentlichen Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten erstreckt.

2. Für die Frage eines Erlasses einer einstweiligen Verfügung zur Vorbereitung einer Betriebsratswahl ist von dem betrieblichen Rahmen auszugehen, der wahrscheinlich den Vorgaben des § 1 Abs. 1 BetrVG entspricht und damit die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Wahlanfechtung geringer erscheinen lässt, als bei Annahme einer anderen für die Betriebsratswahl in Frage kommenden betrieblichen Einheit. (RechtsCentrum)


Hessisches LAG 22.11.2005 4 TaBV 165/05

Betriebsratswahl; Nichtigkeit; Restmandat

1. Die Wahl eines Betriebsrats für einen eindeutig nicht betriebsratsfähigen Betrieb ist nichtig.

2. Das BetrVG lässt die Wahl eines Betriebsrats ausschließlich zum Zweck der Ausübung eines Restmandates nicht zu. (RechtsCentrum)