10 vermeidbare Fehler am Beginn einer Betriebsratsamtszeit

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„Alles neu macht der Mai“ oder „Weiter wie gehabt“ ?

Mit der Neuwahl ändert sich meist auch die personelle Zusammensetzung des Betriebsrats. Alte Mitglieder sind nicht mehr im Gremium, weil sie nicht mehr kandidiert haben oder aufgrund des Wahlergebnisses keine Festmitglieder mehr sind. Neue Mitglieder sind als vorherige Ersatzmitglieder nun direkt ins Gremium gewählt worden oder haben bei ihrer erstmaligen Kandidatur gleich den Sprung in die Mannschaft geschafft.

Es verschieben sich politische Machtverhältnisse ebenso wie bewährte Arbeitsbeziehungen oder gar persönliche Freundschaften, die nun im Gremium nicht mehr gelebt werden können. Das Gremium durchläuft eine Phase der Anpassung, deren Ziel mit dem Begriff der Neufindung irreführend bezeichnet ist, denn zumindest für die Neumitglieder gibt es kein er-neut zu findendes Team.

Mit dem Unterschied zwischen neuen und alten BR-Mitgliedern ist das Feld der Chancen und Risiken abgesteckt:

Die einen wollen an gewohnten und für sie bewährten Sicht- und Arbeitsweisen festhalten, die anderen wollen mit ihren Vorstellungen „frischen Wind“ in das Gremium bringen. Wieder andere wollen die Gunst der Stunde nutzen und zementierte Arbeitsstrukturen und Konflikte aufbrechen, während manche der „Neuen“ neugierig oder vorsichtig erst einmal Fachwissen lernen wollen.

Zu den Ängsten und Sorgen, mit denen beide Gruppen in die Zukunft blicken, kommen oft auch Trauer und Frustration bei den altgedienten Mitgliedern, wenn z.B. Ziele nicht erreicht oder Aufgaben nicht abgeschlossen wurden oder wichtige Bezugspersonen nicht wiedergewählt wurden – oder sie trotz langjähriger BR-Mitgliedschaft, die in ihren Augen erfolgreich war, nicht wieder zum Festmitglied gewählt wurden.

Einer fatalen Polarisierung zwischen „Beharrern“ und „Modernisierern“ kann vorgebeugt werden, wenn sich das Gremium frühzeitig bei ein bis zwei gesonderten Treffen mit sich selbst beschäftigt und dabei die Chance für eine offene und wertschätzende Bilanz sowie neue Perspektiven als wertvolle Informationsquelle wahrnimmt:

  • Was ist bisher gut gelaufen, welche Erfolge sind zu verzeichnen?
  • Welche Qualitäten und Kompetenzen wurden bei den Mitgliedern erkennbar? Welche Qualitäten und Kompetenzen wollen die Neuen einbringen?
  • Welche Ziele und guten Absichten bestanden am Anfang? Was ist aus ihnen geworden?
  • Welche Wünsche, Bedürfnisse und Anliegen bestehen heute?
  • Welche Ziele bestehen für die neue Amtszeit? Wofür sind diese gut, was ist mit ihrer Ereichung gewährleistet? Welche Wertvorstellungen stehen hinter diesen Zielen?
  • Wie wollte der alte Betriebsrat wahrgenommen werden? Wie wurde er tatsächlich wahrgenommen?
  • Wie soll der neue Betriebsrat wahrgenommen werden, welches Bild von ihm sollen Belegschaft und Arbeitgeber haben? Was kann dafür getan werden, was schadet diesem Bild?



Das Wahlergebnis bestimmt über die Postenverteilung

Immer noch wird ein „starkes Wahlergebnis“ dazu benutzt, um Ansprüche auf Posten und Ämter geltend zu machen. Dabei haben die Kriterien für die Entscheidung der Wähler überhaupt nichts mit den Kriterien für die optimale Besetzung einer Position zu tun.

Es ist für die Zielerreichung des Gremiums wenig produktiv, wenn ein glänzender Wahlerfolg davon abhält, das Anforderungsprofil einer Position bestmöglich mit den im Gremium vorhandenen persönlichen und fachlichen Fähigkeiten und Kompetenzen in Deckung zu bringen.

Bei der Besetzung der zu vergebenden Ämter und Aufgaben kann sich das Gremium beispielsweise vom anerkannten „Team Management System (TMS)“ von McCann/Margerison leiten lassen.

Zunächst kann versucht werden, Ämter und Funktionen im Betriebsrat schwerpunktmäßig bestimmten Arbeitsfunktionen zuzuordnen, um für diese ein beständiges Anforderungsprofil zu gewinnen. Diese Arbeitsfunktionen sollten verlässlich in diesem Ämtern abgedeckt werden, können aber je nach Projektinhalt oder Beteiligungsaufgabe auch von anderen Mitgliedern mit-übernommen werden. McCann/Margerison haben in einer Studie je nach Branche/Aufgabenfeld variierende Schwerpunkte gefunden, für Betriebsräte waren dies „Stabilisieren“ und „Überwachen“. Gleichwohl müssen von einem Team alle Arbeitsfunktionen abgedeckt werden, wenn es erfolgreich sein will.

Gleiches gilt für die Teamrollen: idealerweise sollten auch hier alle Rollen besetzt werden können. Allerdings ergeben sich dabei zwei Schwierigkeiten: anders als bei den Arbeitsfunktionen, die quasi abgearbeitet werden „müssen“, geht es bei der Rollenbesetzung darum, diejenige Arbeitsweise zu finden, die jedes Mitglied für sich bevorzugt, wie es schlichtweg am liebsten arbeitet. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass Motivation und Leistung dann am höchsten sind, wenn ca. 70% der Tätigkeit mit Aufgaben ausgefüllt sind, die wir gern machen, wo es einen hinzieht, wo wir uns zu Hause fühlen.

Eine besonders wichtige Rolle in jedem Team ist die des „Verbinders“: als eine Art Generalist sollten diesem Teammitglied alle Rollen vertraut sein, gleichzeitig muss er über besondere soziale Kompetenzen verfügen, die als „Linking Skills“ beispielhaft aufgeführt sind:

Es mag auf der Hand liegen, dass das Amt des Betriebsratsvorsitzes mit der Teamrolle des Verbinders übereinstimmt, denn in der Praxis stellen sich die Aufgaben des Vorsitzes fachlich wie sozial als vielfältig und umfassend dar. Dennoch ist dies nicht zwingend erforderlich und ggf. auch schädlich, da sich wichtige Aufgaben des Vorsitzes im Bereich der Organisatoren und Controller ggf. mit zwischenmenschlichen Aufgaben der Linking Skills und als Stabilisator behindern können.

Auch wenn ein Betriebsrat nicht zwingend ein leistungs- und zielorientiertes Selbstverständnis haben muss, um seine Personalentscheidungen systematisch z.B. mit dem dargestellten Modell zu treffen, so kann es dennoch schon aus Eigennutz bzw. –schutz sinnvoll sein, sich an dem zugrundeliegenden Denken zu orientieren: die Betriebsratsarbeit ist vielfach von Ärger, Sorgen und schlechten Nachrichten geprägt, da hilft es erheblich, wenn die Aufgaben gerne erledigt werden, weil sie „einem liegen“, man „gern in sie hineingeht“ oder einem schlichtweg „leicht fallen“.



Mein Gott, diese ganzen Pflichten!

Die Fülle der Amtspflichten erzeugt eine Vielzahl an Handlungszwängen für das Gremium wie für das einzelne Mitglied. Damit konfrontiert, versuchen gerade Neu-Mitglieder diesem Druck zu entgehen und suchen nach einer weniger „strengen“ Option. Hier drohen nun vorrangig zwei Szenarien:

  • Besteht das Gremium überwiegend aus Neugewählten, kann sich ein verwässernder Umgang mit den Vorschriften durchsetzen und ggf. über Jahre halten. Ob aus Unkenntnis, Bequemlichkeit oder Konfliktscheu geboren: eine solche Haltung wird schnell zur Natur des Betriebsrats und führt auch bei externen Beteiligten zu einer Gewöhnung an vergleichsweise lockere Verhältnisse. Damit drohen zum einen durch diese Verletzung der Fürsorgepflicht gegenüber den Arbeitnehmern, zu deren Schutz der Betriebsrat seine Rechte wahrzunehmen hat, gravierende Nachteile für die Belegschaft, zum anderen wird es später umso schwerer sein, eine Kultur der konsequenten Pflichtwahrnehmung durch- und umzusetzen.
  • Vertreten die Alt-Mitglieder vehement eine konsequente Pflichtwahrnehmung, liegt hier das Konfliktpotential einer Spaltung in „Dogmatiker“ und „Weicheier“. Diese klischeehafte Unterscheidung betont Trennendes an einer Stelle, wo es für beide Seiten eigentlich keine Wahlmöglichkeit gibt: die gesetzlichen Vorschriften sind pflichtgemäß zu erfüllen. Die Verkörperung der unerwünschten Umgangsweise durch den jeweils anderen führt zu einer Personalisierung des Konfliktes und in der Folge zu einem unberechenbaren und inkongruenten Entscheidungsverhalten des Gremiums.

Eine umfassende Kenntnis aller Amtspflichten eines Betriebsrats sowie das Bewusstsein über die Folgen ihrer Verletzung für sich selbst wie für andere bilden die Grundlage für eine erfolgreiche weil unangreifbare Betriebsratsarbeit. Die Pflichten können auf Schulungen vermittelt werden, doch muss das Gremium in einem Akt der Selbstkontrolle immer wieder kritisch überprüfen, ob die Mitglieder in ihrer Amtsführung wie auch das Gremium selbst bei seiner Rechtewahrnehmung und Entscheidungsfindung immer „auf der sicheren Seite“ sind.

Es zahlt sich letztlich aus und die Mitglieder können es zu einer Art Sport machen, wenn sie besonderen Wert auf sprachlich und juristisch klare und logische Argumente und Beschlüsse legen, wenn sie auf sicherem rechtlichem Boden eine konsequente Haltung zeigen, wenn sie ihre Werte und Ziele auch gegen Widerstände und drohende Eintrübungen der menschlichen Beziehungen vertreten.

Ein solcher Betriebsrat mag zwar nicht immer als bequem empfunden werden, aber Respekt, Achtung und Wertschätzung sind ihm sicher.



Jetzt aber ran: Möglichst schnell möglichst viel erreichen.

Ein neuer Betriebsrat erzeugt wie jedes Unbekannte zunächst einmal Unsicherheit und auch Angst: es werden Energien für Kampf oder Flucht bereitgestellt, Zeichen für Vertrauenswürdigkeit und Kooperationsbereitschaft liegen nicht im Fokus der Wahrnehmung.

Ein in dieser Phase allzu forsches Voranschreiten wird vermutlich eher Reize für eine Bestätigung der sicherheitshalber vorgefassten Kampf- oder Fluchteinstellung liefern, ein lösungsoffenes Gespräch wird damit verhindert.

Dies sind keine guten Voraussetzungen für das Erreichen der selbstgesteckten Ziele.

Es empfiehlt sich, Verhandlungen mit Sachinhalt von Maßnahmen der Vertrauensbildung zu trennen und zeitlich nach hinten zu verschieben. Zunächst kann die Zeit damit genutzt werden, die eigenen Ressourcen für die anstehenden Sachfragen zu sichten und ggf. zu ergänzen, um fundiert und strategisch klug die Verhandlungen vorzubereiten. Gleichzeitig kann mit dem Arbeitgeber in einem lockeren Rahmen Art und Weise des Umgangs und der Zusammenarbeit besprochen werden, ohne bereits auf Inhalte einzugehen. Es gilt, sich als Mensch und Funktionsträger kennenzulernen, dem anderen Informationen zu liefern, die ihm Sicherheit geben.

Für beide Seiten besteht die Herausforderung darin, diese vorübergehende Ergebnis- und Lösungslosigkeit auszuhalten und sich ganz auf das Miteinander der Menschen zu konzentrieren. Auch wenn dieses Vorgehen heutzutage unökonomisch und nicht rational erscheint, so wird eine solche Basis die anstehenden Verhandlungen zu den Sachthemen umso schneller vonstatten gehen lassen, da jetzt ein Klima für mehr Lösungsoffenheit vorherrscht.



Die Neuen sollen erstmal mitlaufen, die Alten wissen´s eh schon.

Die meisten Betriebsräte kommen zu ihrem Amt wie die sprichwörtliche „Jungfrau zum Kinde“: keiner von ihnen hat „Betriebsrat studiert“, die wenigsten besitzen fachliche Vorkenntnisse. Nun sehen sie sich einem Berg von juristischen, kommunikatorischen und menschlichen Anforderungen gegenüber.

In Zeiten knapper Kassen setzen daher auch Betriebsräte auf die interne Wissensvermittlung. Die Lernforschung zeigt, dass dies für Lernende wie für Lehrende von großem Vorteil ist.

Gleichwohl besteht in Betriebsräten die Gefahr, das Wissen im Sinne eines „Weiter so“ einseitig oder gar fehlerhaft weiterzugegeben. Ebenso ist zu berücksichtigen, dass mit dem permanent erkenn- und spürbaren Wissensungleichgewicht auch eine unbewusste und sachfremde Machtverteilung einher gehen kann. Darüber hinaus ist es nicht zu vermeiden, dass mit dem Faktenwissen unbewusst auch Ansichten und Haltungen weitergegeben werden. Dadurch geht dem Betriebsrat wertvolles Potential verloren, wenn z.B. das eigenständige Denken des Neuen beeinflusst oder gar eingeengt wird oder durch Ablehnung eine frühe Opposition entsteht und das Faktenwissen nurmehr schlecht aufgenommen werden kann.

Analog zur Ermittlung des Berufsbildungsbedarfs im Betrieb kann der Betriebsrat das bei den Mitgliedern vorhandene Fachwissen systematisch erfassen, mit den anstehenden Aufgaben in Beziehung setzen und so Wissenslücken entdecken. Ein auf dieser Basis aufgestellter Bildungsplan sollte die vollständige Handlungsfähigkeit aller Mitglieder innerhalb eines Jahres zum Ziel haben. Dabei muss berücksichtigt werden, dass so manches Fachwissen nach einer gewissen Zeit veraltet sein kann und, trotz aller praktischen Erfahrungen, durch ein Auffrischungsseminar erneuert werden sollte.

Externe Wissensvermittlung kostet Geld, worauf viele Arbeitgeber als Träger dieser Kosten meist mit Ablehnung oder dem Wunsch nach zeitlicher Streckung reagieren. So verständlich dies ist, so muss sich der Betriebsrat aber auch fragen, wie dies mit einer kompetenten und effizienten Aufgabenbewältigung und dem Erreichen der selbstgesteckten Ziele zusammenpassen kann. Viele Betriebsräte klagen über inkompetente Gesprächspartner auf der Arbeitgeberseite; es ist kaum einzusehen, weshalb sie selbst Anlass zu solchen Klagen geben sollten.



Alte Aufgaben erstmal zu Ende führen.

Ein neues Gremium sieht sich fast immer mit dem „Erbe“ seines Vorgängers konfrontiert. Bestehende Betriebsvereinbarungen, laufende Verhandlungen, begonnene Projekte gehören ebenso dazu wie das Image bei Arbeitgeber und Belegschaft.

Insbesondere das Votum der Wähler kann nahelegen, dieses Erbe berechtigterweise auszuschlagen und ganz eigene Wege zu gehen. Ist keine oder nur eine geringe personelle Kontinuität der Besetzung des Betriebsrats gegeben, kann davon ausgegangen werden, dass ein Großteil der wählenden Belegschaft die Initiativen des bisherigen Betriebsrats als undurchsichtig, unnachvollziehbar oder mangelhaft kommuniziert empfand – er war also mit der Politik des alten Betriebsrats nicht einverstanden und hofft nun auf eine inhaltliche Neuausrichtung des Gremiums, die vermutlich eher die Belange der Belegschaft berücksichtigt. Diese kann sogar so weit gehen, eine vom Vorgänger initiierte Betriebsvereinbarung zu kündigen und die Nachwirkung zu beenden.

Besondere Aufmerksamkeit verlangen ggf. anhängige gerichtliche Verfahren. Diese sollten wegen möglicherweise laufender Fristen vorrangig besprochen werden. Durch die geänderte Zusammensetzung des Gremiums kann der mehrheitliche Wunsch entstehen, das Verfahren für erledigt zu erklären. Hierbei spielt eine besondere Rolle, dass der alte Betriebsrat „Geschädigter“ war und sich das neue Gremium nicht geschädigt fühlt. Ähnliches kann gelten, wenn der alte Betriebsrat ein Interesse hatte, eine Rechtsfrage klären zu lassen: auch hier kann das Interesse zunächst nicht als gegeben erscheinen. Der Betriebsrat sollte sehr sorgfältig prüfen, welche Auswirkungen sich auf die eigene praktische Arbeit und auf das Verhältnis zum Arbeitgeber durch eine Fortführung oder vorzeitige Beendigung ergeben können.

Auch wenn dies für die wiedergewählten „alten“ Mitglieder im Sinne der internen Machtverteilung zunächst kontraproduktiv erscheinen mag, so kann es sich auszahlen, wenn sie nach dem Gebot der Fairness nicht darauf bestehen, in das Erbe einzutreten, sondern sich und den neuen Mitgliedern die Möglichkeit geben, bisherige Vereinbarungen, Ziele und Vorgehensweisen auf den Prüfstand zu stellen. Auf diese Weise werden frühe Frustrationen und damit Potentialverluste vermieden.

Selbstverständlich ist jeder Betriebsrat bestimmten, gesetzlich vorgegebenen Handlungszwängen unterworfen, doch bei politisch oder „moralisch“ begründeten Initiativen des alten Betriebsrats kann das „Wie“ der Rechtewahrnehmung immer einer Überprüfung unterzogen werden und eine Neupositionierung des Gremiums nach sich ziehen.

Wird die Prüfung auch gegenüber dem Arbeitgeber offen kommuniziert, bekommt dieser ebenfalls die Gelegenheit, aus alten Denk- und Verhaltensmustern auszusteigen und zu neuem Umgang und neuen Lösungen zu kommen. Notwendigerweise wird der Betriebsrat dem Arbeitgeber als vertrauensbildende Maßnahme nach Abschluss der Prüfung seine Entscheidungskriterien und die Gründe für das weitere geplante Vorgehen darlegen. Die Erfahrung zeigt, dass sich gerade aus einem solchen offenen Vorgehen ungeahnte Lösungs- und Kooperationsmöglichkeiten ergeben.



Oberstes Gebot: Kontinuität in Ausschüssen, Arbeitsgruppen und KBR/GBR.

Die neuen Mitglieder werden sehr schnell merken, dass der Betriebsrat nicht nur in der Sitzung als Gremium zusammenarbeitet, sondern dass etliche weitere spannende Aufgaben in anderen Gruppierungen warten.

Bestehen solche Gruppierungen bereits aus der vorhergegangenen Amtszeit, so stellt sich für das Gremium die Aufgabe der personellen (Neu-)Besetzung mit seinen Mitgliedern.

„Ich will meine Arbeit in der Arbeitsgruppe zu Ende führen“, „Wir brauchen im Ausschuss wirklich erfahrene Vertreter“ oder „Im KBR geht es um die ganz großen Themen, da kann man nicht mal so eben reinspringen“ lauten die Argumente derjenigen, die eine Kontinuität befürworten. Solche sicherlich auch zutreffenden rationalen Argumente verdecken jedoch schnell, dass es bei der Tätigkeit in einer weiteren Gruppierung auch um Macht und persönliche Vorteile geht. Man kennt sich, kann seine ganz persönlichen Vorstellungen durchsetzen, reist gelegentlich durchs Land, lernt dazu und hat Abwechslung vom BR- und Arbeitsalltag.

Individuell kann also sehr viel dafür sprechen, seine Ämter und Funktionen weiterhin behalten zu wollen. In der Praxis ist die Gegenwehr daher meist heftig und führt im Falle des Unterliegens schnell zur inneren „Mandatsniederlegung“.

Als Ausweg aus diesem Dilemma bieten sich personelle wie auch zeitliche Misch- oder Rotationsmodelle an, die dem vormaligen Funktionsinhaber die Möglichkeit geben, seine Erfahrung an neue Mitglieder weiterzugeben, sich langsam von Aufgaben und Vorteilen zu verabschieden und dabei neue Herausforderungen zu suchen. Es sollte dabei in eher längeren Zeiträumen gedacht werden, um sowohl den komplexen persönlichen Interessen als auch den inhaltlichen Anforderungen der Funktionsaufgaben gerecht zu werden.



Große Erwartungen I: Betriebsrat

„Diesmal wird alles anders, diesmal werden wir noch besser für unsere KollegInnen kämpfen. Denn wir sind neu gewählt, nur der Arbeitgeber bleibt derselbe.“

Wie schon oben erwähnt, hegen alte wie neue Mitglieder oft große Erwartungen hinsichtlich der Veränderungen durch die Wahl, denn in der abgelaufenen Amtszeit hätten sie schon etliches ändern wollen, wenn die anderen sie nur gelassen hätten.

Ob sich die Hoffnungen nun auf eine andere politische Ausrichtung, ein anderes Konfliktverhalten, eine bessere Arbeitsorganisation oder die Abwesenheit eines nervigen BR-Mitgliedes richten: meist werden das Ausmaß der möglichen Veränderung und das damit einhergehende Glücksempfinden erheblich überschätzt.

Die Selbsterhaltungsmechanismen lebender Systeme sorgen nämlich auch dafür, dass vergleichsweise erfolgreiche Verhaltensweisen beibehalten werden, anstatt sie ohne echte Not zu ersetzen. Dies gilt umso mehr, wenn die Umweltbedingungen wenig veränderlich sind, so wie es die Konstruktion des Verhältnisses der Betriebsparteien auf der Basis des Betriebsverfassungsgesetzes ist. Es besteht also eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass alle Beteiligten zumindest unbewusst daran mitarbeiten, dass sich die bekannten Verhältnisse erneut einstellen.

Veränderung, will sie nicht als Revolution auftreten, braucht Einladung und Werbung. Der Mensch als autonomes Wesen kann nicht wirklich zu etwas gezwungen werden, was er nicht will. Wie „im richtigen Leben“ müssen also die Beteiligten erkennen können, welchen Vorteil sie davon haben, ein bestimmtes Verhalten oder eine Sichtweise aufzugeben und sich dem Neuen zuzuwenden.

Statt also die eigenen Erwartungen hochzuschrauben und die zwangsläufig eintretende Enttäuschung zu pflegen, kann es sinnvoller sein:

  • über den Preis des bisherigen Verhaltens oder der Sichtweisen zu sprechen
  • den Gewinn durch das Neue für den Einzelnen wie für die Sache darzustellen
  • die guten Seiten des anderen Verhaltens konsequent vorzuleben
  • die tiefliegenden persönlichen Gründe für ein Verhalten/ eine Sichtweise anzusprechen und Mitgefühl wie Verständnis auszudrücken
  • Wertschätzung für die bisherigen Versuche zu zeigen und zur Weiterentwicklung ermuntern
  • die Grundlagen des eigenen Denkens zu erläutern, über Werte sprechen, Wünsche an Umgang und Behandlung äußern
  • die eigenen Gefühle offenbaren, wenn das alte Verhalten beobachtet wird kritisch hinterfragen, woher man genau weiß, dass es nur so geht und ob nicht auch eine andere Sicht denkbar wäre
  • zur Langsamkeit und zeitweisen Lösungsfreiheit einladen



Große Erwartungen II: Belegschaft und Arbeitgeber

Ein neuer Betriebsrat sieht sich einer großen Vielfalt an Erwartungen und auch Befürchtungen gegenüber. Diese sind sogar innerhalb von umgrenzten Gruppen heterogen und können kaum richtig eingeschätzt, geschweige denn befriedigt werden.

Es ist für den Betriebsrat kein Zeichen von Schwäche, wenn er zunächst zuhört und keine Versprechungen macht. Da die Erkenntnisse aus diesen Gesprächen oder Umfragen auch einen direkten Einfluss auf den Selbstfindungsprozess haben, kann der Betriebsrat unmittelbar nach seiner Konstituierung solche Gespräche auf seine Agenda setzen und durchführen.

Für die Belegschaft empfehlen sich

  • Sprechstunden
  • Abteilungssprechstunden
  • Abteilungsbesuche
  • Betriebsbegehungen mit Gesprächen am Arbeitsplatz
  • Kantinen- oder Raucherhofgespräche

Für den Arbeitgeber empfehlen sich

  • Monatsgespräch
  • Jour-Fixe
  • Einladung in die Sitzung
  • Gespräche mit Geschäftsführung, Personalabteilung, Abteilungsleitungen
  • Hintergrundgespräche
  • gemeinsame Mittagessen

Für alle Gespräche gilt

  • zuhören und nachfragen
  • wertschätzende Grundhaltung („Rückmeldung als Geschenk“)
  • ich bin ok – du bist ok
  • bei Angriffen oder harscher Kritik nicht verteidigen und argumentieren, sondern zuhören, nachfragen, Veränderungsvorschläge erfragen und ggf. Hilfe anbieten
  • keine konkreten Aussagen zu politischer Richtung und geplante Vorhaben, sondern besser auf den Prozess verweisen

Nach den Gesprächen gilt es, die gewonnenen Informationen zusammenzutragen und auszuwerten. Dabei sollte eine frühe Bewertung vermieden werden, es gelten zunächst einmal alle Punkte und werden z.B. auf Kärtchen gesammelt. Anschließend können die einzelnen Punkte zu größeren und handhabbaren Themenbereichen zusammengefasst werden. Zu diesen Bereichen können die Mitglieder ihre spontanen Ideen und Gedanken äußern oder besser aufschreiben. Auch hier werden die Äußerungen zunächst nicht bewertet. Erst wenn alles gesagt ist, kann anhand der gesammelten Reaktionen in die Diskussion darüber, wie das Gremium mit den jeweiligen Punkten umgehen will, eingetreten werden.



Sich zuerst um sich selbst und seine Aufgaben kümmern

Nach einer Bundestagswahl gibt man einer neuen Bundesregierung in der Regel 100 Tage Zeit. In diese Zeit muss sie den personellen und organisatorischen Übergang geschafft und ihre Amtsgeschäfte so erfolgreich aufgenommen haben, dass am Ende dieser „Schonfrist“ Marschrichtungen erkennbar, Meilensteine definiert und schon erste Ergebnisse erreicht sind. Gleichzeitig müssen die handelnden Personen bewiesen haben, dass sie sich nahtlos in das „Tagesgeschäft“ einarbeiten und einfügen können.

Es wird sehr kritisch gesehen, wenn eine Regierung zu lange braucht, um sich selbst zu finden und eine klare Linie erkennen zu lassen. Man spricht dann häufig von „Fehlstart“, doch dies wird den Bemühungen der Beteiligten meistens nicht gerecht, da bei der Beurteilung nur wenige Kriterien hinzugezogen werden.

Auch ein neugewählter Betriebsrat wird sich zunächst selber finden und gleichzeitig sein Tagesgeschäft wie bisher erledigen müssen. In der Praxis wird jedoch der Findungsprozess nicht bewusst und aktiv angegangen, stattdessen liegt das Hauptaugenmerk auf Aufgabenerledigung, Ergebniserreichung und Wissenserwerb. Der Findungsprozess erfolgt quasi nebenbei während der Aufgabenerledigung und dauert dementsprechend lange, die Ergebniserreichung wird verzögert. Und plötzlich ist das Folgequartal erreicht, eine Betriebsversammlung muss einberufen werden und alle überlegen fieberhaft, was man der Belegschaft an Handfestem erzählen kann.

Der Findungsprozess des Betriebsrats kann durch eine konzentrierte Vorgehensweise erheblich beschleunigt werden. Analog zu Koalitionsklausuren sollte sich der Betriebsrat ausreichend Zeit nehmen, um zu den wichtigsten Punkten seiner Arbeit die verschiedenen Ansichten offenzulegen und zu grundlegenden Übereinkünften zu kommen. Die dafür erforderliche offene und vertrauensvolle Atmosphäre kann durch die Wahl eines geeigneten internen Moderators oder eines externen Klärungshelfers oder Coaches gewährleistet werden. Ein professioneller Helfer wird dabei auch auf die Balance zwischen Einzelpersonen, Gruppe und Aufgaben achten. Dadurch lernen die Beteiligten schon frühzeitig, dass ihre Unterschiede sinnvoll gehandhabt und in einen Vorteil verwandelt werden können.

Parallel zur Findung des Gremiums besteht aber auch die Notwendigkeit, die Betriebsöffentlichkeit zu informieren. Schließlich sind die meisten Mitarbeiter neugierig, wer denn jetzt alles im Betriebsrat sitzt und wie und wofür dieser Betriebsrat arbeiten wird. Die frühzeitige Bildung einer Arbeitsgruppe „BR-Öffentlichkeitsarbeit“ kann dazu beitragen, dass die Belegschaft von Anfang an kontinuierlich mit Informationen versorgt wird. Dabei sollte sich der Betriebsrat nicht zu schade sein, auch vermeintlich unwichtige und „menschelnde“ Informationen aus dem Gremium zu publizieren. Die Mitarbeiter wollen nicht nur Taten und Ergebnisse sehen, sondern auch die Menschen, die sich für sie einsetzen, erkennen können.